26.03.2014
Miet- und WEG-Recht: Verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch unter Wohnungseigentümern
Leitsatz:
Wird die Nutzung des Sondereigentums durch rechtswidrige Einwirkungen beeinträchtigt, die von im Sondereigentum eines anderen Wohnungseigentümers stehenden Räumen ausgehen, kann dem betroffenen Wohnungseigentümer ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zustehen; das gilt auch im Verhältnis von Mietern solcher Räume (BGH, Urteil vom 25.10.2013, V ZR 230/12).
Entscheidung:
Die Beklagte betrieb in einer angemieteten Eigentumswohnung ein ambulantes Operationszentrum. Eines Nachts löste sich im Sterilisationsraum eine Schlauchverbindung, wodurch es zu Wasseraustritt und zu Schäden in den darunterliegenden Praxisräumen eines
Arztes kam, welche dieser ebenfalls angemietet hatte. Die Schäden in den Praxisräumen regulierte zunächst die Versicherung des Arztes, die sie sodann von dem Beklagten ersetzt verlangte. Der BGH gab der klagenden Versicherung dem Grunde nach Recht - in analoger Anwendung des verschuldensunabhängigen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB.
§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB setze in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich eine Störung von einem anderen Grundstück voraus, es müsse sich also um einen „Eingriff von außen“ handeln. Dies sei bei Beeinträchtigungen des Sondereigentums, die von im Sondereigentum eines anderen Wohnungseigentümers stehenden Räumen ausgehen, strukturell vergleichbar, da Sondereigentum in der Wahrnehmung des Rechtsverkehrs als eine Art Ersatzgrundstück fungiere. Die Sondereigentümer stünden sich ebenso mit gegensätzlichen Interessen gegenüber wie Grundstückseigentümer in den unmittelbar von § 906 Abs. 2 Satz 2 erfassten Fällen. Zudem sei das aus dem zwischen Sondereigentümern bestehenden gesetzlichen Schuldverhältnis (vgl. § 14 Nr. 1 und § 15 Abs. 3 WEG) folgende Gebot der Rücksichtnahme den Verpflichtungen, die Grundstückseigentümern aus dem Nachbarverhältnis auferlegt sind, durchaus vergleichbar. Insofern sei der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB auch auf das Verhältnis von Sondereigentümern untereinander entsprechend anwendbar.
Einer analogen Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB stehe auch nicht entgegen, dass weder die Beklagte noch der Versicherungsnehmer der Klägerin selbst Sondereigentümer der streitgegenständlichen Räume seien, sondern diese vielmehr von den jeweiligen Sondereigentümern angemietet hätten. Insoweit leite nämlich der berechtigte Besitzer seine Rechtstellung unmittelbar von dem jeweiligen Sondereigentümer ab und rücke bei der gebotenen wertenden Betrachtung in diese ein. Die Eigentumsverhältnisse seien daher weder im Bereich der unmittelbaren Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz BGB noch im Bereich der analogen Anwendung der Vorschrift entscheidend.
Fazit:
Die Entscheidung des BGH ist dogmatisch konsequent. Der BGH hat aber gleichzeitig deutlich gemacht, dass eine analoge Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht in Betracht kommt bei Mietern verschiedener Wohnungen in einem nicht in Eigentumswohnungen aufgeteilten Haus, da hier das Mietverhältnis jeweils mit demselben Vermieter besteht und es somit an einem „Eingriff von außen“ fehlt. In diesem Fall besteht ein Anspruch des einen Mieters auf Ersatz eines ihm entstandenen Schadens nur dann, wenn den anderen Mieter ein Verschulden trifft. Letztlich hängt die Frage, ob einem Mieter gegen seinen Wohnungsnachbarn im Schadensfall ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch zusteht, also davon ab, ob er eine Eigentumswohnung angemietet hat oder nicht. Dies wird - bei aller dogmatischer Berechtigung der Entscheidung des BGH - einem betroffenen Mieter nicht vermittelbar sein.
David Wöhler
Rechtsanwalt